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Axiomatik


Inhaltsverzeichnis

Inzidenz

Grundideen der Axiomatik

Was ist ein Punkt?

„Man muss jederzeit an Stelle von ‚Punkten‘, ‚Geraden‘, ‚Ebenen‘, ‚Tische‘, ‚Stühle‘, ‚Bierseidel‘ sagen können.“

David Hilbert (1862-1943)

[[Image:]]

Abbildung 1: David Hilbert

Auf die Frage, was denn eine Strecke sei, erhält man oft zur Antwort, es handle sich dabei um die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Strecken sind offenbar durch Punkte bestimmt. Was aber ist ein Punkt? Diese Frage bewegte bereits im Altertum die Mathematiker, die damals zumeist auch Philosophen waren:


[Image:http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/7d/Head_Platon_Glyptothek_Munich_548.jpg/180px-Head_Platon_Glyptothek_Munich_548.jpg] Plato:

427 – 347 v.Chr.

„Ein Punkt ist der Anfang einer Linie.“

[[Image:]] Aristoteles:

384 – 322 v.Chr.

„Ein Punkt ist eine unteilbare Einheit, die eine Position besitzt.

[[Image:]] Euklid:

um 365 bis ca. 300 v. Chr.

„Was keine Teile hat ist ein Punkt.

Bei allem Respekt vor den Leistungen dieser Herren, ihre „Definitionen“ des Begriffes Punkt schaffen dem Erkenntnissuchenden nur für einen kurzen Moment Erleichterung. Danach quält ihn erneut die Gewissheit, eigentlich nichts zu wissen.

  • Was ist eine Linie?
  • Was ist der Anfang von etwas von dem ich nicht weiß, was es ist?
  • Was meint Aristoteles mit seiner Einheit?
  • Wenn ich schon nicht weiß, was mit Einheit gemeint ist, wie soll ich dann begreifen, was eine unteilbare Einheit ist?
  • Wer oder was zum Teufel hat keine Teile?

Betrachten wir doch einfach solche Objekte, mit deren Definition wir „weniger“ Schwierigkeiten haben.

  • Ein Quadrat ist ein Rechteck mit 4 gleichlangen Seiten.
  • Ein Rechteck ist ein Parallelogramm mit einem rechten Innenwinkel.
  • Ein Parallelogramm ist ein Trapez mit zwei Paaren paralleler Seiten.
  • Ein Trapez ist ein Viereck mit einem Paar paralleler Seiten.
  • Ein Viereck ist die Vereinigungsmenge von vier Strecken [[Image:]], wobei je drei der Endpunkte dieser Strecken nicht auf ein und derselben Geraden liegen.

Aus Gründen der Vollständigkeit wäre jetzt zu klären, was eine Strecke ist. Damit sind wir auf demselben Stand, wie zu Anfang dieser Ausführungen. Für den Begriff der Strecke brauchen wir wieder den Begriff des Punktes. Die Herren Plato, Aristoteles und Euklid waren diesbezüglich sehr bemüht aber letztlich nicht wirklich hilfreich. Irgendwann muss die Sache einmal „auf den Punkt gebracht“ werden:

Punkte, Geraden und Ebenen lassen sich nicht wie Quadrate und Kreise definieren. Trotzdem haben wir gewisse Vorstellungen von ihren Eigenschaften: Durch zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade. In diesem Sinne erfahren die abstrakten Grundbegriffe eine Präzisierung. Beweisen kann man die Eigenschaften der Grundobjekte freilich nicht. Es sind unbeweisbare Grundtatsachen bzw. Grundannahmen. Der Mathematiker formuliert sie als Forderungen und nennt diese dann Axiome.

Axiome und undefinierte Grundbegriffe

Die Bezeichnung Geometrie kommt aus dem Griechischen:


εωμετρία
Geometria
ge
metrein
Erde
messen
Erdmessung, Erdvermessung

Geometrie kann damit zunächst als die Lehre vom uns umgebenden Anschauungsraum verstanden werden.

Schon wieder so ein verwaschener Begriff: Anschauung. Da legen wir doch gleich noch eins nach: gesunder Menschenverstand. Dann war noch vom Raum die Rede und schon ergibt sich eine Assoziationskette: Johannes Kepler, Galileo Galilei, „Und sie bewegt sich doch!“, Inquisition, Rehabilitation 1992.

Eine gewisse Skepsis erscheint im Zusammenhang mit Anschauung angebracht. Damit sind wir in der Zwickmühle. Zum einen müssen wir unsere Grundannahmen der Anschauung entnehmen. Zum anderen wissen wir um damit verbundene eventuelle Unzulänglichkeiten. Die Geometer versuchen die Unabwägbarkeiten zu minimieren:

  • Als Axiome werden nur sehr einfache, plausible Aussagen zugelassen, von deren Richtigkeit man mal wohl „hundertprozentig“ überzeugt sein kann.
  • Die Anzahl der unbewiesenen Grundannahmen wird so gering wie möglich gewählt. Gleiches gilt für die undefinierten Grundbegriffe.
  • Alle weiteren Elemente der Geometrie werden rein deduktiv aus den Axiomen und Grundbegriffen abgeleitet.

Ein Schema soll diesen Ansatz demonstrieren:

[[Image:]]

[[Image:]]

Euklid kommt die Ehre zu, als erster auf diese Weise die Geometrie des Anschauungsraumes begründet zu haben. Sich vor den Leistungen Euklids verneigend spricht man von Euklidische Geometrie.

Bis zu einer im modernen Sinne durchgängig korrekten axiomatischen Begründung der Euklidischen Geometrie sollten seit Euklid jedoch noch 2300 Jahre vergehen. 1899 stellte David Hilbert in seiner Arbeit „Grundlagen der Geometrie“ das erste logisch völlig exakte Axiomensystem der Euklidischen Geometrie auf. Die „Grundlagen der Geometrie“ waren im übrigen eine Festschrift aus Anlass der Enthüllung des Gauß‑Weber-Denkmals in Göttingen.

Besser als der Meister kann man die Dinge wohl nicht erläutern:

„Erklärung:Wir denken drei verschiedene Systeme von Dingen. Die Dinge des ersten Systems nennen wir Punkte und bezeichnen sie mit A, B, C…;die Dinge des zweiten Systems nennen wir Geraden und bezeichnen sie mit a, b, c…;die Dinge des dritten Systems nennen wir Ebenen und bezeichnen sie mit …; …Wir denken die Punkte Geraden und Ebenen in gewissen gegenseitigen Beziehungen und bezeichnen diese Beziehungen durch Worte wie ‚liegen‘, ‚zwischen‘, ‚parallel‘, ‚kongruent‘, ‚stetig‘; die genaue und vollständige Beschreibung erfolgt durch die Axiome der Geometrie.“

(Hilbert, S. 2)

Auch wenn der Anschauungsraum bei der Formulierung der Axiome und der Festlegung der undefinierten Grundbegriffe Pate stand, löst sich die Theorie dann von der Anschauung. Geometrie wird zu einem eigenständigen komplexen System. In gewisser Weise haben die Mathematiker „Gott gespielt“ und eine eigene Welt erschaffen. Diese Welt ist relativ überschaubar. Sie beruht auf 5 Axiomengruppen und beinhaltet alles, was man rein deduktiv aus diesen mit den Mitteln der mathematischen Logik ableiten kann.

Die Axiome der Inzidenz

Begriff der Inzidenz

Wikipedia liefert zum Stichwort Inzidenz:

Der Begriff Inzidenz (von lat.: incidere „fallen“) bezeichnet:

Es können nicht nur Punkte und Geraden sondern auch zwei Geraden, Geraden und Ebenen sowie Punkte und Ebenen miteinander inzidieren. Der Leser mag darüber erstaunt sein, dass für die Beziehung, die die Mathematiker bereits mit ist Element von ([[Image:]]) genau beschrieben haben, eine neue Bezeichnung eingeführt werden soll.

Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass in der Inzidenzgeometrie von Hilbert Geraden und Ebenen keine Punktmengen sein mussten. Denkt man sich beispielsweise Geraden als Schaschlikstäbchen und Punkte als Knetekügelchen, dann läßt sich die Inzidenz zwischen Punkten und Geraden als „Knetekugel steckt auf Schaschlikstäbchen“ interpretieren. Es ist sinnvoll, dass Schaschlikstäbchen nicht aus Knetekügelchen bestehen. Die Inzidenz könnte in diesem Fall gar nicht die Elementbeziehung sein.

Die Inzidenz ist unsere erste undefinierte Relation auf der Menge der undefinierten Grundbegriffe Punkt, Gerade und Ebene. Da man in der Schule den abstrusen Fall, dass Geraden keine Punktmengen sind nicht in Betracht ziehen wird, können wir die Inzidenz getrost weiterhin als die Elementbeziehung ansehen. Lediglich aus Gründen der Vollständigkeit wurde hier auf einen abstrakteren Inzidenzbegriff verwiesen.

Folgende Sprechweisen sind in unseren Betrachtungen für den Begriff der Inzidenz möglich:

Für einen Punkt P und eine Gerade g:

  • P gehört g an,
  • P liegt auf g,
  • P ist ein Punkt der Gerade g,
  • g geht durch P,
  • [[Image:]].

Für zwei Geraden g und h:

  • g und h haben einen gemeinsamen Schnittpunkt P,
  • g und h schneiden sich im Punkt P,
  • [[Image:]].

Analoge Sprechweisen gelten für die Inzidenzrelationen zwischen Punkten und Ebenen sowie zwischen Geraden und Ebenen.

Die Inzidenzaxiome der ebenen Geometrie

Wir gehen von einer nichtleeren Menge aus, die Ebene genannt wird. Die Elemente von heißen Punkte und werden mit A, B, C… bezeichnet. Ferner möge eine weitere nichtleere Menge G existieren, deren Elemente wir Geraden nennen und mit a, b, c… bezeichnen wollen.

In 2.1. wurde die Idee eines abstrakten Inzidenzbegriffes erläutert. Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Inzidenzbegriff für die Schulgeometrie keinerlei Relevanz hat. Hier ist klar, dass unter der Inzidenz die Elementbeziehung zu verstehen ist. Das funktioniert jedoch nur, wenn Geraden aus Punkten bestehen.

Aus diesem Grund stellen wir ein Axiom 0 auf, dass man wegen des allgemeineren Inzidenzbegriffes im legendären Axiomensystem von Hilbert nicht findet:

AXIOM I/0:

Geraden sind Punktmengen.

Dieses für die Schulgeometrie wichtige Axiom erlaubt, den Begriff der Inzidenz zu definieren:

Definition I/1:( Inzidenz)

Ein Punkt P inzidiert mit einer Geraden g, wenn P ein Element der Geraden g ist.

Ein Punkt P inzidiert mit einer Ebene E, wenn P ein Element der Ebene E ist.

Hinsichtlich der Sprechweise sei auf 2.1. verwiesen.

Die weiteren Eigenschaften von Punkten und Geraden werden durch die folgenden Inzidenzaxiome festgelegt.

AXIOM I/1(Axiom von der Geraden)

Zu zwei beliebigen verschiedenen Punkten gibt es genau eine Gerade, die die beiden Punkte enthält.

Axiom I/1 liefert eine weitere Bezeichnungsmöglichkeit von Geraden. Eine Gerade g, die durch zwei verschiedene Punkte A und B eindeutig bestimmt ist wird auch mit AB bezeichnet.

AXIOM I/2:

Zu jeder Geraden gibt es wenigstens zwei Punkte, die dieser Geraden angehören.

Für die weitere Formulierung von Axiomen ist es sinnvoll, den Begriff kollinear zu definieren.

Definition I/2: (kollinear)

Eine Menge von Punkten heißt kollinear, wenn es eine Gerade gibt, die alle Punkte der Menge enthält.

Schreibweise: koll(A, B, C, ...)

Sollten die Punkte A, B, C einer Menge nicht kollinear sein, so schreibt man:nkoll(A, B, C)

AXIOM I/3:

Es gibt wenigstens 3 Punkte, die nicht kollinear sind.

Folgerungen aus den Axiomen der ebenen Inzidenzgeometrie

Viel wurde noch nicht axiomatisch gefordert. Dementsprechend werden wir auch noch nicht viele interessante Aussagen aus den Axiomen ableiten können. Wegen der geringen Anzahl von Axiomen ist es jedoch recht einfach, die Idee des axiomatischen Arbeitens zu verdeutlichen.

Folgende Sätze lassen sich aus den Axiomen I/0 bis I/3 ableiten.

Satz I.1:

Es seien g und h zwei Geraden.

Wenn g und h nicht identisch sind, haben sie höchstens einen Punkt gemeinsam.

Beweis:

Voraussetzung: Es seien g und h zwei Geraden, die nicht identisch sind.

Fall 1:

Die Geraden g und h haben keinen Punkt gemeinsam. In diesem Fall ist nichts weiter zu zeigen, denn sie haben damit nicht mehr als einen Punkt gemeinsam.

Fall 2:

Die Geraden g und h schneiden sich in einem Punkt P.

Wir haben zu zeigen, dass sie keinen weiteren Punkt gemeinsam haben.

Wir führen den Beweis indirekt und nehmen an, dass die Geraden g und h einen weiteren von P verschiedenen Punkt Q gemeinsam haben.

Das Axiom I/1 sagt aus, dass durch zwei verschiedene Punkte genau eine Gerade geht. Da die beiden Punkte P und Q verschieden sind, kann auf sie dieses Axiom angewandt werden.

Die Gerade g geht durch P und Q und die Gerade h geht durch P und Q. Da es nun eine und nur eine Gerade gibt, die durch P und Q geht, müssen die beiden Geraden g und h identisch sein. Das ist allerdings ein Widerspruch zur Voraussetzung, dass g und h nicht identisch sind.

Die Annahme, dass ein weiterer gemeinsamer Punkt Q der beiden Geraden g und h existiert, ist damit zu verwerfen.

Die Aussage des Satzes I.1 ist eine Implikation, d.h. sie hat die folgende Form:Wenn Aussage A so Aussage B.

Denselben Wahrheitswert wie eine Implikation hat die sogenannte Kontraposition der Implikation:

Wenn nicht Aussage B so nicht Aussage A.

Satz I.2: (Kontraposition von Satz I.1)

Es seien g und h zwei Geraden.

Wenn g und h mehr als einen Punkt gemeinsam haben, so sind g und h identisch.

Da eine Implikation und ihre Kontraposition im Wahrheitsgehalt übereinstimmen und Satz I.2 die Kontraposition von Satz I.1 ist, bräuchten wir nach dem Beweis von Satz I.1 den Satz I.2 nicht mehr zu beweisen.

Zur Übung und auch aus dem Grund, dass man Satz I.2 direkt beweisen kann, soll Satz I.2 noch einmal bewiesen werden.

Beweis von Satz I.2:

Es seien g und h zwei Geraden.

Voraussetzung: g und h haben mehr als einen Punkt gemeinsam.

Es seien dieses die Punkte P und Q.

Wir haben zu zeigen, dass die beiden Geraden g und h identisch sind.

Dieses folgt unmittelbar aus Axiom I/1.

Satz I.3: (Existenz von drei Geraden)

Es existieren mindestens drei paarweise verschiedene Geraden.

Beweis:

  1. Nach Axiom I/3 existieren drei Punkte A, B und C mit nkoll(A, B, C).
  2. Die drei Punkte A, B und C sind paarweise verschieden. Wären nämlich zwei der Punkte identisch, so würde nach Axiom I/1 sofort koll(A, B, C) folgen.
  3. Nach Axiom I/1 existieren die Geraden AB, BC und AC.
  4. Wenn wir zeigen können, dass keine zwei dieser Geraden nicht identisch sind, ist die Behauptung bewiesen.
  5. Wir nehmen an, dass etwa AB und BC identisch sind. In diesem Fall wären die Punkte A, B und C Punkte ein und derselben Geraden. Dieses wäre jedoch ein Widerspruch zur Aussage von Beweisschritt (1).
  6. Dementsprechend ist es nicht möglich, dass je zwei der drei Geraden AB, BC und AC identisch sein.

Viel mehr an einigermaßen interessanten Sätzen ist aus den ebenen Inzidenzaxiomen nicht herauszuholen. Wenn dem Thema Inzidenz trotzdem eine ganze Vorlesung in unseren Untersuchungen eingeräumt wird, so liegt das mehr daran, dass sich anhand dieser wenigen einfachen Aussagen recht gut die Prinzipien axiomatischen Arbeitens in der Geometrie erläutern lassen. Ein solches Prinzip ist die Konkretisierung der abstrakten Begriffe wie Punkt, Gerade, Inzidenz durch Modelle.

Modelle für die Inzidenzaxiome der Ebene,Forderungen an Axiomensystem

Kreide und Graphit

Eine Aufgabe aus einem Mathematiklehrbuch:

Zeichne eine Gerade g und einen Punkt P, außerhalb von g. Zeichne dann eine Gerade h, die durch P geht und g schneidet!

Kann man etwas zeichnen, was undefiniert ist? Natürlich nicht! Geometrieunterricht ohne Zeichnungen und Skizzen ist allerdings auch nicht denkbar. Wir lösen das Problem, indem wir die Beziehungen zwischen Bleistiftstrichen oder Kreidehäufchen einer Skizze und den Geraden bzw. Punkten unserer Theorie aufdecken.


Die Milch für die Schüler wird häufig im ‚Tetra Pak‘ geliefert. Diese Behältnisse sind im Unterricht schnell zur Hand und werden deshalb gern bei der Behandlung spezieller geometrischer Körper eingesetzt. Genau genommen sind diese „Picassoeuter“[1] eigentlich keine Quader oder Pyramiden (Tetraeder). Sie entsprechen nur in einem gewissen Sinn unseren landläufigen Vorstellungen von bestimmten geometrischen Objekten.
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Abbildung 2

Damit lassen sie sich recht gut als Modelle für Quader oder Tetraeder einsetzen. Ebenso verhält es sich mit den Skizzen und Zeichnungen. Eine gerade gezeichnete Bleistiftlinie wird als Modell für eine Gerade verwendet. Mathematisch korrekt müsste es in der Aufgabe heißen: Zeichne ein Modell einer Geraden g.

Zeichnungen, Skizzen, Plättchen zum Auslegen oder auch räumliche Objekte wie Saftpackungen und Keksdosen helfen geometrische Zusammenhänge und Sachverhalte zu veranschaulichen. In der Schule dienen geometrische Modelle zuvorderst diesem didaktischen Zweck. Dem Didaktiker sind sie damit lieb und teuer. Der „reine“ Mathematiker kann prinzipiell auf diesen Aspekt geometrischer Modelle verzichten. So haben wir beispielsweise den Satz I.1 ohne jede Anschauung bewiesen. Als Analogon kann man sich einen begabten Schachspieler vorstellen, der blind, also ohne ein gegenständliches Schachspiel, nur im Kopf spielt.

Die Idee des Modells

Unter einem Modell einer mathematischen Theorie verstehen wir die Interpretation dieser Theorie in einer bereits bekannten (mathematischen oder nichtmathematischen) Struktur. Das bedeutet, dass die in der Theorie verwendeten Grundbegriffe innerhalb der bekannten Struktur eine konkrete Bedeutung zugewiesen bekommen und untersucht wird, ob bei dieser Interpretation der Grundbegriffe die Axiome der Theorie erfüllt sind. Sinn und Zweck dieser Modelle bestehen weniger in der Veranschaulichung der Axiome als z.B. im Nachweis ihrer Unabhängigkeit.

Ein Modell für die ebene Inzidenzgeometrie[2]

Aus „Der Mathematikdidaktiker“:

Modellbausatz für die ebene Inzidenzgeometrie von Inzidator in der Luxusausführung


Die Firma Inzidator liefert seit Jahren preisgünstige Modellbausätze für die Inzidenzgeometrie. Mit Inzman de Lux bringt sie jetzt eine Luxusvariante des bekannten Bausatzes Inzman auf den Markt und zielt damit eindeutig auf die in letzter Zeit wieder gesellschaftsfähig gewordenen Elite-schulen als Zielgruppe.

Inzman de Lux besteht aus drei polierten Marmorkugeln, die in geeigneter Weise mit zwei Bohrungen versehen sind. Diese Marmorstücke sind nach Aussagen von Inzidator geradezu die Inkarnation des abstrakten geometrischen Begriffs Punkt. Sie heißen deshalb Modellpunkte. Den drei Messingstangen, d.h. den Modellgeraden, spendierte Inzidator in der Luxusausführung einen Blattgoldüberzug. „Mit unserem Bausatz lassen sich Modelle erstellen, die voll und ganz den Inzidenzaxiomen von Hilbert entsprechen.“ wirbt Inzidator im Katalog.

Das kann man natürlich erst dann nachprüfen, wenn man weiß, wie die Inzidenzrelation implementiert wurde. Hierzu sind die Bohrungen in den Kugeln kompatibel zum Durchmesser der Stangen gehalten. D.h. jede Stange läßt sich in ein beliebiges Kugelloch stecken. Punkt P inzidiert mit Gerade g bedeutet im Inzman‑Modell also Kugel P steckt auf Stange g. Es spricht für das didaktische Geschick der Inzidator -Leute, dass sie einen Bausatz und kein fertiges Modell liefern.

So kann sich der nach Erkenntnis drängende junge Forscher selbst im Sinne aktiv entdeckenden Lernens mit der Materie der Inzidenz auseinandersetzen. Dem Autor wurde eine Betaversion des Bausatzes zu Testzwecken zur Verfügung gestellt. Bereits im ersten Anlauf gelang der Zusammenbau eines wirklichen Modells für die ebene Inzidenzgeometrie nach Hilbert:

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Zunächst wurde geprüft, ob der Bausatz ausreichend Modellpunkte enthält. Axiom I/3 legt fest, dass es wenigstens drei verschiedene Punkte geben muss. Wären nur zwei Kugeln geliefert worden, hätte man erst gar nicht anzufangen brauchen. Axiom I/1 verlangt die Inzidenz von genau einer Geraden mit je zwei verschiedenen Punkten. Die Anzahl von drei Modellgeraden ist damit optimal der Anzahl der Modellpunkte angepasst. Nach der Realisierung der Inzidenzrelation durch Aufstecken der Modellpunkte auf die Modellgeraden war auch Axiom I/2 erfüllt. Durch die vorgefertigten Bohrungen war die Erstellung des Modells eigentlich ein Kinderspiel.

Unabhängigkeit von Axiomen

Dem Artikel im „Mathematikdidaktiker“ folgte eine Flut von Leserbriefen. Von Microsoftsyndrom war die Rede und vor allem davon, dass es Inzidator auch in der Luxusausführung von Inzman nicht gelungen war, den schon immer bemängelten Nachteil der Inzmanserie, die Nichterfüllung der Forderungen des Axioms I/0, zu beseitigen. Messingstangen bestünden auch nach dem Überzug mit Blattgold nicht aus Mamorkugeln.

Während insbesondere ältere, sich der Hilbert’schen Tradition verpflichtet fühlende Kollegen gerade dieses begrüßten und die Kritik am Inzmanmodell in die Schublade Erleichterungspädagogik legten, konnten weniger polemisch geführte Diskussionsbeiträge gerade der Nichterfüllung von Axiom I/0 mathematischen Wert abgewinnen.

Hier die Begündung:

An Axiomensysteme wird die Forderung nach Minimalität gestellt, d.h. die Anzahl der Axiome sollte so gering wie möglich sein. Gering bedeutet, nur solche Aussagen als Axiome zu verwenden, die nicht aus bereits aufgestellten Axiomen ableitbar sind. Man spricht auch von der Unabhängigkeit der Axiome.

Woher weiß ich aber, ob sich eine Aussage, von deren Wahrheit ich eventuell rein intuitiv überzeugt bin, aus meinen Axiomen ableiten lässt? Ich kann immer wieder probieren. Wenn eine korrekte Ableitung gelingt, bin ich fertig. Die Aussage bekommt meinen Namen und geht als Satz von XYZ in die Theorie ein. Falls sich auch nach hartnäckigsten Bemühungen, die Aussage nicht ableiten lässt, verhärtet sich der Verdacht, dass die Aussage wohl nicht aus den Axiomen abgeleitet werden kann.

Auch mit dem Nachweis der Nichtableitbarkeit einer Aussage kann man Lorbeeren ernten. Die Aussage könnte jetzt als Axiom von XYZ in die Analen der Mathematik eingehen. Das Problem ist nur, dass der Nachweis der Nichtableitbarkeit einer Aussage in der Regel genau so schwer ist, wie der Nachweis der Ableitbarkeit. In einer solchen Situation können Modelle weiter helfen.

Wenn ein Modell die Aussagen einer Menge von Axiomen erfüllt, so müssen in diesem Modell letztlich auch alle Aussagen gelten, die sich aus den Axiomen ableiten lassen.

Oder anders herum für unseren konkreten Fall des Modells für die Hilbert’schen Inzidenzaxiome: Gerade weil im Modell Inzman die Geraden keine Punktmengen sind, ist mit ihm nachgewiesen, dass das Axiom I/0 unabhängig von den anderen Inzidenzaxiomen ist. Da die Inzidenzaxiome I/1 bis I/3 im Modell Inzman gelten und damit auch alle möglichen Ableitungen aus ihnen in Inzman gelten müssen und das Axiom I/0 demgegenüber keine Gültigkeit in Inzman hat, muß das Axiom I/0 unabhängig von den anderen Inzidenzaxiomen sein.

Ein weiteres Modell für die Inzidenzaxiome I/1 bis I/3

Als Modellpunkte wählen wir die Zahlen 2, 3 und 4.

Die Modellgeraden seien die Zahlen 5, 6 und 7.

Die Inzidenzrelation interpretieren wir wie folgt:

Ein Punkt P inzidiert mit einer Geraden g, wenn es einen weiteren Punkt Q mit P+Q=g gibt.

Zwei Geraden g und h inzidieren in einem Punkt P, wenn P sowohl mit g als auch mit h inzidiert.

Das Modell erfüllt das Axiom I/1:


Punkt 1
Punkt 2
Gerade
2
3
5
2
4
6
3
4
7

Die Eindeutigkeit der bestimmten Geraden folgt aus der Eindeutigkeit der Addition natürlicher Zahlen. Die Vertauschung der Punktreihenfolge ist der Kommutativität der Addition von natürlichen Zahlen gleichzusetzen.

Das Modell erfüllt das Axiom I/2:


Gerade
inzidiert mit
5
2 und 3
6
2 und 4
7
3 und 4

Das Modell erfüllt das Axiom I/3:

Die Untersuchungen zu den ersten beiden Axiomen zeigte bereits nkoll(2, 3, 4).

Widerspruchsfreiheit von Axiomen

„Der deutsche Schlager ist schlecht weil der deutsche Schlager schlecht ist.“

Manfred Krug in einem Radiointerview in den 70ger Jahren

Eines der übelsten Machwerke der Musikgattung deutscher Schlager wurde von einem Herrn Reim gesungen und beinhaltete den folgenden Widerspruch:

  1. „Verdammt
  2. ich lieb Dich,
  3. ich lieb Dich nicht.“

(Nummerierung von M.G.)

Zeile 1 kann vergessen werden. Zeile 3 ist das Gegenteil von Zeile 2. Damit können beide Aussagen nicht gleichzeitig in ein und demselben Axiomensystem verwendet werden. Allgemein bekannt ist, dass die Welt von Herrn Reim nach diesem Singsang auch nicht mehr ganz in Ordnung war.

Wenn ein Axiom die Negation eines anderen ist, so macht das entsprechende Axiomensystem keinen Sinn. An Axiomensysteme wird deshalb die Forderung der Widerspruchsfreiheit gestellt. Genau bedeutet diese Forderung, dass mit einer Aussage nicht deren Negation aus einem Axiomensystem ableitbar sein darf.

Auch der Nachweis der Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems gestaltet sich in der Regel schwierig. Findet man jedoch ein Modell des Axiomensytems, welches in einer Theorie spielt, von der man die Widerspruchsfreiheit weiß, so ist dieses Modell zumindest ein Indiz für die Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems.

Da wir wohl von der Widerspruchsfreiheit der Arithmetik überzeugt sein können, ist mit dem Modell aus 1.3.5 auch ein Indiz für die Widerspruchsfreiheit der Axiome I/1 bis I/3 geliefert worden.

Ein minimales Modell für die Inzidenzaxiome I/0 bis I/3

Modellpunkte:

[[Image:]]

Modellgeraden:

[[Image:]]

Inzidenz: Elementbeziehung.

Gültigkeit der Axiome I/0 bis I/3 in dem Modell:

Axiom I/0:

Die Geraden sind Mengen, die aus zwei Punkten bestehen. Damit ist jede Gerade eine Punktmenge.

Axiom I/1:

Die Menge der Geraden ist die Menge aller möglichen zweielementigen Teilmengen von E. Je zwei verschiedenen Punkten wird damit genau eine Gerade zugeordnet.

Axiom I/2:

Jede Gerade besteht aus zwei Punkten. Axiom I/2 ist damit erfüllt.

Axiom I/3:

Die Existenz von drei Punkten ist durch die Definition der Menge E gesichert. Diese drei Punkte können nicht kollinear sein, da jede Gerade mit maximal zwei Punkten inzidiert.

Unmittelbar einsichtig ist jetzt der folgende Satz:

Satz I/4: (Minimales Modell für die Inzidenzaxiome der ebenen Geometrie)

Jedes Modell für die ebene Inzidenzaxiome besteht aus wenigstens 3 Punkten und 3 Geraden.

In diesem Sinn ist das obige Modell ein minimales Modell für die Axiome der ebenen Inzidenzgeometrie.

Weitere Modelle der Inzidenzaxiome für die Ebene

Weitere Modelle und entsprechende Erläuterungen können dem Buch „Euklidische und Nichteuklidische Geometrie“ von Herrn Filler entnommen werden.

Link: http://www.ph-heidelberg.de/wp/filler/hub/elemgeo/fi-e-n-g.pdf

(S. 68ff.)

Vollständigkeit eines Axiomensystems

Neben den Forderungen nach Unabhängigkeit und Widerspruchsfreiheit eines Axiomensytems wird von derartigen Systemen erwartet, dass sie eine Theorie vollständig beschreiben. Was darunter exakt zu verstehen ist, kann im Rahmen dieser Lehrveranstaltung nicht geklärt werden. Diesbezüglich bedürfte es eines tieferen Studiums der mathematischen Logik.

In gewisser Weise dürfte aber sicher intuitiv klar sein, was mit dieser Vollständigkeit gemeint ist.

Die Inzidenzaxiome beschreiben die Euklidische Geometrie noch nicht vollständig. Es bedarf weiterer Axiomengruppen.

Erweiterung der Inzidenzaxiome für die Geometrie im Raum

Inzidenzaxiome der Raumgeometrie

Wir erweitern die Menge der undefinierten Grundbegriffe um die Menge aller Ebenen.

Auch Ebenen sollen Punktmengen sein, weshalb wir Axiom I/0 ergänzen:

Axiom I/0

Geraden und Ebenen sind Punktmengen.

Definition I/3:( Inzidenz Punkt Ebene)

Ein Punkt P inzidiert mit einer Ebene E, wenn P ein Element der Ebene E ist.

Definition I/4; (Inzidenz Gerade Ebene)

Eine Gerade g gehört zu einer Ebene E, wenn jeder Punkt von g zu E gehört.

Definition I/5: (Raum)

Die Menge aller Punkte P wird Raum genannt.

Zusätzlich zu den Axiomen I/1 bis I/3 werden die folgenden Forderungen erhoben:

Axiom I/4

Zu je drei nichtkollinearen Punkten gibt es genau eine Ebene, die diese drei Punkte enthält. Jede Ebene enthält (wenigstens) einen Punkt.

Axiom I/5

Wenn zwei Punkte einer Geraden g in einer Ebene E liegen, so gehört g zu E.

Axiom I/6

Wenn zwei Ebenen einen Punkt gemeinsam haben, so haben sie noch mindestens einen weiteren Punkt gemeinsam.

Definition I/6: (komplanar)

Eine Menge von Punkten heißt komplanar, wenn es eine Ebene gibt, die alle Punkte der Menge enthält. Schreibweise: komp(A, B, C, D, ...) (analog nkomp(..) für nicht komplanar)

Axiom I/7

Es gibt vier Punkte, die nicht komplanar sind.

Weitere Definitionen auf der Grundlage der räumlichen Inzidenzaxiome

Definition I.7: (komplanar für Geraden)

Zwei Geraden g und h sind komplanar, wenn es eine Ebene gibt, in der beide Geraden vollständig liegen.

Schreibweise: komp(g, h)

Definition I.7: (Geradenparallelität)

Zwei Geraden g und h sind parallel, wenn sie identisch oder komplanar und schnittpunktfrei sind.

In Zeichen: g||h.

Definition I/8; (windschief )

Zwei Geraden g und h sind windschief, wenn sie schnittpunktfrei und nicht parallel sind.

Definition I/9: (parallel für Ebenen)

Zwei Ebene E1 und E2 sind parallel, wenn sie keinen Punkt gemeinsam haben.

Folgerungen aus den Axiomen der räumlichen Inzidenzgeometrie

Satz I.5:

Zwei voneinander verschiedene Ebenen haben entweder keinen Punkt oder eine Gerade gemeinsam, auf der alle gemeinsamen Punkte beider Ebenen liegen.

Satz I.6:

Eine Ebene und eine nicht in ihr liegende Gerade haben höchstens einen Punkt gemeinsam.

Satz I.7:

Jede Ebene enthält (wenigstens) drei Punkte.

Beweise: Übungsaufgaben

Ein Modell für die räumlichen Inzidenzaxiome

Menge der Punkte [[Image:]]

Menge der Ebenen [[Image:]]

Menge der Geraden [[Image:]]

Inzidenz: Elementbeziehung

Nachweis der Gültigkeit der Axiome im Modell: Übungsaufgabe.

Nachweis der Minimalität des Modells bezüglich der räumlichen Inzidenzgeometrie: Übungsaufgabe.


  1. Ossijargon für Milch in Tetraederverpackung.
  2. Nach den „schwierigen“ abstrakten Beweisen sei dem Leser gleichzeitig ein wenig Entspannung gegönnt.