Nur für sehr Interessierte: Modelle in der Axiomatik: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 3. Juni 2010, 14:44 Uhr

Inhaltsverzeichnis

Modelle für die Inzidenzaxiome der Ebene,Forderungen an Axiomensystem

Kreide und Graphit

Eine Aufgabe aus einem Mathematiklehrbuch:

Zeichne eine Gerade g und einen Punkt P, außerhalb von g. Zeichne dann eine Gerade h, die durch P geht und g schneidet!

Kann man etwas zeichnen, was undefiniert ist? Natürlich nicht! Geometrieunterricht ohne Zeichnungen und Skizzen ist allerdings auch nicht denkbar. Wir lösen das Problem, indem wir die Beziehungen zwischen Bleistiftstrichen oder Kreidehäufchen einer Skizze und den Geraden bzw. Punkten unserer Theorie aufdecken.


Die Milch für die Schüler wird häufig im ‚Tetra Pak‘ geliefert. Diese Behältnisse sind im Unterricht schnell zur Hand und werden deshalb gern bei der Behandlung spezieller geometrischer Körper eingesetzt. Genau genommen sind diese „Picassoeuter“[1] eigentlich keine Quader oder Pyramiden (Tetraeder). Sie entsprechen nur in einem gewissen Sinn unseren landläufigen Vorstellungen von bestimmten geometrischen Objekten.
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Abbildung 2

Damit lassen sie sich recht gut als Modelle für Quader oder Tetraeder einsetzen. Ebenso verhält es sich mit den Skizzen und Zeichnungen. Eine gerade gezeichnete Bleistiftlinie wird als Modell für eine Gerade verwendet. Mathematisch korrekt müsste es in der Aufgabe heißen: Zeichne ein Modell einer Geraden g.

Zeichnungen, Skizzen, Plättchen zum Auslegen oder auch räumliche Objekte wie Saftpackungen und Keksdosen helfen geometrische Zusammenhänge und Sachverhalte zu veranschaulichen. In der Schule dienen geometrische Modelle zuvorderst diesem didaktischen Zweck. Dem Didaktiker sind sie damit lieb und teuer. Der „reine“ Mathematiker kann prinzipiell auf diesen Aspekt geometrischer Modelle verzichten. So haben wir beispielsweise den Satz I.1 ohne jede Anschauung bewiesen. Als Analogon kann man sich einen begabten Schachspieler vorstellen, der blind, also ohne ein gegenständliches Schachspiel, nur im Kopf spielt.

Die Idee des Modells

Unter einem Modell einer mathematischen Theorie verstehen wir die Interpretation dieser Theorie in einer bereits bekannten (mathematischen oder nichtmathematischen) Struktur. Das bedeutet, dass die in der Theorie verwendeten Grundbegriffe innerhalb der bekannten Struktur eine konkrete Bedeutung zugewiesen bekommen und untersucht wird, ob bei dieser Interpretation der Grundbegriffe die Axiome der Theorie erfüllt sind. Sinn und Zweck dieser Modelle bestehen weniger in der Veranschaulichung der Axiome als z.B. im Nachweis ihrer Unabhängigkeit.

Ein Modell für die ebene Inzidenzgeometrie[2]

Aus „Der Mathematikdidaktiker“:

Modellbausatz für die ebene Inzidenzgeometrie von Inzidator in der Luxusausführung


Die Firma Inzidator liefert seit Jahren preisgünstige Modellbausätze für die Inzidenzgeometrie. Mit Inzman de Lux bringt sie jetzt eine Luxusvariante des bekannten Bausatzes Inzman auf den Markt und zielt damit eindeutig auf die in letzter Zeit wieder gesellschaftsfähig gewordenen Elite-schulen als Zielgruppe.

Inzman de Lux besteht aus drei polierten Marmorkugeln, die in geeigneter Weise mit zwei Bohrungen versehen sind. Diese Marmorstücke sind nach Aussagen von Inzidator geradezu die Inkarnation des abstrakten geometrischen Begriffs Punkt. Sie heißen deshalb Modellpunkte. Den drei Messingstangen, d.h. den Modellgeraden, spendierte Inzidator in der Luxusausführung einen Blattgoldüberzug. „Mit unserem Bausatz lassen sich Modelle erstellen, die voll und ganz den Inzidenzaxiomen von Hilbert entsprechen.“ wirbt Inzidator im Katalog.

Das kann man natürlich erst dann nachprüfen, wenn man weiß, wie die Inzidenzrelation implementiert wurde. Hierzu sind die Bohrungen in den Kugeln kompatibel zum Durchmesser der Stangen gehalten. D.h. jede Stange läßt sich in ein beliebiges Kugelloch stecken. Punkt P inzidiert mit Gerade g bedeutet im Inzman‑Modell also Kugel P steckt auf Stange g. Es spricht für das didaktische Geschick der Inzidator -Leute, dass sie einen Bausatz und kein fertiges Modell liefern.

So kann sich der nach Erkenntnis drängende junge Forscher selbst im Sinne aktiv entdeckenden Lernens mit der Materie der Inzidenz auseinandersetzen. Dem Autor wurde eine Betaversion des Bausatzes zu Testzwecken zur Verfügung gestellt. Bereits im ersten Anlauf gelang der Zusammenbau eines wirklichen Modells für die ebene Inzidenzgeometrie nach Hilbert:

[[Image:]]

[[Image:]]

Zunächst wurde geprüft, ob der Bausatz ausreichend Modellpunkte enthält. Axiom I/3 legt fest, dass es wenigstens drei verschiedene Punkte geben muss. Wären nur zwei Kugeln geliefert worden, hätte man erst gar nicht anzufangen brauchen. Axiom I/1 verlangt die Inzidenz von genau einer Geraden mit je zwei verschiedenen Punkten. Die Anzahl von drei Modellgeraden ist damit optimal der Anzahl der Modellpunkte angepasst. Nach der Realisierung der Inzidenzrelation durch Aufstecken der Modellpunkte auf die Modellgeraden war auch Axiom I/2 erfüllt. Durch die vorgefertigten Bohrungen war die Erstellung des Modells eigentlich ein Kinderspiel.

Unabhängigkeit von Axiomen

Dem Artikel im „Mathematikdidaktiker“ folgte eine Flut von Leserbriefen. Von Microsoftsyndrom war die Rede und vor allem davon, dass es Inzidator auch in der Luxusausführung von Inzman nicht gelungen war, den schon immer bemängelten Nachteil der Inzmanserie, die Nichterfüllung der Forderungen des Axioms I/0, zu beseitigen. Messingstangen bestünden auch nach dem Überzug mit Blattgold nicht aus Mamorkugeln.

Während insbesondere ältere, sich der Hilbert’schen Tradition verpflichtet fühlende Kollegen gerade dieses begrüßten und die Kritik am Inzmanmodell in die Schublade Erleichterungspädagogik legten, konnten weniger polemisch geführte Diskussionsbeiträge gerade der Nichterfüllung von Axiom I/0 mathematischen Wert abgewinnen.

Hier die Begündung:

An Axiomensysteme wird die Forderung nach Minimalität gestellt, d.h. die Anzahl der Axiome sollte so gering wie möglich sein. Gering bedeutet, nur solche Aussagen als Axiome zu verwenden, die nicht aus bereits aufgestellten Axiomen ableitbar sind. Man spricht auch von der Unabhängigkeit der Axiome.

Woher weiß ich aber, ob sich eine Aussage, von deren Wahrheit ich eventuell rein intuitiv überzeugt bin, aus meinen Axiomen ableiten lässt? Ich kann immer wieder probieren. Wenn eine korrekte Ableitung gelingt, bin ich fertig. Die Aussage bekommt meinen Namen und geht als Satz von XYZ in die Theorie ein. Falls sich auch nach hartnäckigsten Bemühungen, die Aussage nicht ableiten lässt, verhärtet sich der Verdacht, dass die Aussage wohl nicht aus den Axiomen abgeleitet werden kann.

Auch mit dem Nachweis der Nichtableitbarkeit einer Aussage kann man Lorbeeren ernten. Die Aussage könnte jetzt als Axiom von XYZ in die Analen der Mathematik eingehen. Das Problem ist nur, dass der Nachweis der Nichtableitbarkeit einer Aussage in der Regel genau so schwer ist, wie der Nachweis der Ableitbarkeit. In einer solchen Situation können Modelle weiter helfen.

Wenn ein Modell die Aussagen einer Menge von Axiomen erfüllt, so müssen in diesem Modell letztlich auch alle Aussagen gelten, die sich aus den Axiomen ableiten lassen.

Oder anders herum für unseren konkreten Fall des Modells für die Hilbert’schen Inzidenzaxiome: Gerade weil im Modell Inzman die Geraden keine Punktmengen sind, ist mit ihm nachgewiesen, dass das Axiom I/0 unabhängig von den anderen Inzidenzaxiomen ist. Da die Inzidenzaxiome I/1 bis I/3 im Modell Inzman gelten und damit auch alle möglichen Ableitungen aus ihnen in Inzman gelten müssen und das Axiom I/0 demgegenüber keine Gültigkeit in Inzman hat, muß das Axiom I/0 unabhängig von den anderen Inzidenzaxiomen sein.

Ein weiteres Modell für die Inzidenzaxiome I/1 bis I/3

Als Modellpunkte wählen wir die Zahlen 2, 3 und 4.

Die Modellgeraden seien die Zahlen 5, 6 und 7.

Die Inzidenzrelation interpretieren wir wie folgt:

Ein Punkt P inzidiert mit einer Geraden g, wenn es einen weiteren Punkt Q mit P+Q=g gibt.

Zwei Geraden g und h inzidieren in einem Punkt P, wenn P sowohl mit g als auch mit h inzidiert.

Das Modell erfüllt das Axiom I/1:


Punkt 1
Punkt 2
Gerade
2
3
5
2
4
6
3
4
7

Die Eindeutigkeit der bestimmten Geraden folgt aus der Eindeutigkeit der Addition natürlicher Zahlen. Die Vertauschung der Punktreihenfolge ist der Kommutativität der Addition von natürlichen Zahlen gleichzusetzen.

Das Modell erfüllt das Axiom I/2:


Gerade
inzidiert mit
5
2 und 3
6
2 und 4
7
3 und 4

Das Modell erfüllt das Axiom I/3:

Die Untersuchungen zu den ersten beiden Axiomen zeigte bereits nkoll(2, 3, 4).

Widerspruchsfreiheit von Axiomen

„Der deutsche Schlager ist schlecht weil der deutsche Schlager schlecht ist.“

Manfred Krug in einem Radiointerview in den 70ger Jahren

Eines der übelsten Machwerke der Musikgattung deutscher Schlager wurde von einem Herrn Reim gesungen und beinhaltete den folgenden Widerspruch:

  1. „Verdammt
  2. ich lieb Dich,
  3. ich lieb Dich nicht.“

(Nummerierung von M.G.)

Zeile 1 kann vergessen werden. Zeile 3 ist das Gegenteil von Zeile 2. Damit können beide Aussagen nicht gleichzeitig in ein und demselben Axiomensystem verwendet werden. Allgemein bekannt ist, dass die Welt von Herrn Reim nach diesem Singsang auch nicht mehr ganz in Ordnung war.

Wenn ein Axiom die Negation eines anderen ist, so macht das entsprechende Axiomensystem keinen Sinn. An Axiomensysteme wird deshalb die Forderung der Widerspruchsfreiheit gestellt. Genau bedeutet diese Forderung, dass mit einer Aussage nicht deren Negation aus einem Axiomensystem ableitbar sein darf.

Auch der Nachweis der Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems gestaltet sich in der Regel schwierig. Findet man jedoch ein Modell des Axiomensytems, welches in einer Theorie spielt, von der man die Widerspruchsfreiheit weiß, so ist dieses Modell zumindest ein Indiz für die Widerspruchsfreiheit des Axiomensystems.

Da wir wohl von der Widerspruchsfreiheit der Arithmetik überzeugt sein können, ist mit dem Modell aus 1.3.5 auch ein Indiz für die Widerspruchsfreiheit der Axiome I/1 bis I/3 geliefert worden.

Ein minimales Modell für die Inzidenzaxiome I/0 bis I/3

Modellpunkte:

[[Image:]]

Modellgeraden:

[[Image:]]

Inzidenz: Elementbeziehung.

Gültigkeit der Axiome I/0 bis I/3 in dem Modell:

Axiom I/0:

Die Geraden sind Mengen, die aus zwei Punkten bestehen. Damit ist jede Gerade eine Punktmenge.

Axiom I/1:

Die Menge der Geraden ist die Menge aller möglichen zweielementigen Teilmengen von E. Je zwei verschiedenen Punkten wird damit genau eine Gerade zugeordnet.

Axiom I/2:

Jede Gerade besteht aus zwei Punkten. Axiom I/2 ist damit erfüllt.

Axiom I/3:

Die Existenz von drei Punkten ist durch die Definition der Menge E gesichert. Diese drei Punkte können nicht kollinear sein, da jede Gerade mit maximal zwei Punkten inzidiert.

Unmittelbar einsichtig ist jetzt der folgende Satz:

Satz I.4: (Minimales Modell für die Inzidenzaxiome der ebenen Geometrie)
Jedes Modell für die ebenen Inzidenzaxiome besteht aus wenigstens 3 Punkten und 3 Geraden.

In diesem Sinn ist das obige Modell ein minimales Modell für die Axiome der ebenen Inzidenzgeometrie.

Weitere Modelle der Inzidenzaxiome für die Ebene

Weitere Modelle und entsprechende Erläuterungen können dem Buch „Euklidische und Nichteuklidische Geometrie“ von Herrn Filler entnommen werden.

Link: http://www.ph-heidelberg.de/wp/filler/hub/elemgeo/fi-e-n-g.pdf

(S. 68ff.)

Der Link funktioniert bei mir nicht!

Vollständigkeit eines Axiomensystems

Neben den Forderungen nach Unabhängigkeit und Widerspruchsfreiheit eines Axiomensytems wird von derartigen Systemen erwartet, dass sie eine Theorie vollständig beschreiben. Was darunter exakt zu verstehen ist, kann im Rahmen dieser Lehrveranstaltung nicht geklärt werden. Diesbezüglich bedürfte es eines tieferen Studiums der mathematischen Logik.

In gewisser Weise dürfte aber sicher intuitiv klar sein, was mit dieser Vollständigkeit gemeint ist.

Die Inzidenzaxiome beschreiben die Euklidische Geometrie noch nicht vollständig. Es bedarf weiterer Axiomengruppen.
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