Grundbegriffe und Axiome der Inzidenz in der Ebene SoSe12
Was ist ein Punkt?
Auf die Frage, was denn eine Strecke sei, erhält man oft zur Antwort, es handle sich dabei um die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Strecken sind offenbar durch Punkte bestimmt. Was aber ist ein Punkt? Diese Frage bewegte bereits im Altertum die Mathematiker, die damals zumeist auch Philosophen waren:
Bei allem Respekt vor den Leistungen dieser Herren, ihre „Definitionen“ des Begriffes Punkt schaffen dem Erkenntnissuchenden nur für einen kurzen Moment Erleichterung. Danach quält ihn erneut die Gewissheit, eigentlich nichts zu wissen.
Betrachten wir doch einfach solche Objekte, mit deren Definition wir „weniger“ Schwierigkeiten haben.
Aus Gründen der Vollständigkeit wäre jetzt zu klären, was eine Strecke ist. Damit sind wir auf demselben Stand, wie zu Anfang dieser Ausführungen. Für den Begriff der Strecke brauchen wir wieder den Begriff des Punktes. Die Herren Plato, Aristoteles und Euklid waren diesbezüglich sehr bemüht aber letztlich nicht wirklich hilfreich. Irgendwann muss die Sache einmal „auf den Punkt gebracht“ werden: Punkte, Geraden und Ebenen lassen sich nicht wie Quadrate und Kreise definieren. Trotzdem haben wir gewisse Vorstellungen von ihren Eigenschaften: Durch zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade. In diesem Sinne erfahren die abstrakten Grundbegriffe eine Präzisierung. Beweisen kann man die Eigenschaften der Grundobjekte freilich nicht. Es sind unbeweisbare Grundtatsachen bzw. Grundannahmen. Der Mathematiker formuliert sie als Forderungen und nennt diese dann Axiome. Axiome und undefinierte GrundbegriffeDie Bezeichnung Geometrie kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie Erdvermessung. Geometrie kann damit zunächst als die Lehre vom uns umgebenden Anschauungsraum verstanden werden. Schon wieder so ein verwaschener Begriff: Anschauung. Da legen wir doch gleich noch eins nach: gesunder Menschenverstand. Dann war noch vom Raum die Rede und schon ergibt sich eine Assoziationskette: Johannes Kepler, Galileo Galilei, „Und sie bewegt sich doch!“, Inquisition, Rehabilitation 1992. Eine gewisse Skepsis erscheint im Zusammenhang mit Anschauung angebracht. Damit sind wir in der Zwickmühle. Zum einen müssen wir unsere Grundannahmen der Anschauung entnehmen. Zum anderen wissen wir um damit verbundene eventuelle Unzulänglichkeiten. Die Geometer versuchen die Unabwägbarkeiten zu minimieren:
Ein Schema soll diesen Ansatz demonstrieren: Euklid kommt die Ehre zu, als erster auf diese Weise die Geometrie des Anschauungsraumes begründet zu haben. Sich vor den Leistungen Euklids verneigend spricht man von Euklidische Geometrie. Bis zu einer im modernen Sinne durchgängig korrekten axiomatischen Begründung der Euklidischen Geometrie sollten seit Euklid jedoch noch 2300 Jahre vergehen. 1899 stellte David Hilbert in seiner Arbeit „Grundlagen der Geometrie“ das erste logisch völlig exakte Axiomensystem der Euklidischen Geometrie auf. Die „Grundlagen der Geometrie“ waren im übrigen eine Festschrift aus Anlass der Enthüllung des Gauß‑Weber-Denkmals in Göttingen. Besser als der Meister kann man die Dinge wohl nicht erläutern: „Erklärung:Wir denken drei verschiedene Systeme von Dingen. Die Dinge des ersten Systems nennen wir Punkte und bezeichnen sie mit A, B, C…;die Dinge des zweiten Systems nennen wir Geraden und bezeichnen sie mit a, b, c…;die Dinge des dritten Systems nennen wir Ebenen und bezeichnen sie mit ; …Wir denken die Punkte Geraden und Ebenen in gewissen gegenseitigen Beziehungen und bezeichnen diese Beziehungen durch Worte wie ‚liegen‘, ‚zwischen‘, ‚parallel‘, ‚kongruent‘, ‚stetig‘; die genaue und vollständige Beschreibung erfolgt durch die Axiome der Geometrie.“ (Hilbert, S. 2) Auch wenn der Anschauungsraum bei der Formulierung der Axiome und der Festlegung der undefinierten Grundbegriffe Pate stand, löst sich die Theorie dann von der Anschauung. Geometrie wird zu einem eigenständigen komplexen System. In gewisser Weise haben die Mathematiker „Gott gespielt“ und eine eigene Welt erschaffen. Diese Welt ist relativ überschaubar. Sie beruht auf 5 Axiomengruppen und beinhaltet alles, was man rein deduktiv aus diesen mit den Mitteln der mathematischen Logik ableiten kann. Geometrie in der EbenePunkte und GeradenWir gehen von einer nichtleeren Menge aus, die Ebene genannt wird. Die Elemente von heißen Punkte und werden mit … bezeichnet. Ferner möge eine weitere nichtleere Menge existieren, deren Elemente wir Geraden nennen und mit … bezeichnen wollen. Unsere erste Vorstellung von Geraden ist, dass diese aus Punkten bestehen: AXIOM I/0
Die weiteren Eigenschaften von Punkten und Geraden werden durch die folgenden (Inzidenz)Axiome festgelegt. AXIOM I/1 (Axiom von der Geraden)
Axiom I/1 liefert eine weitere Bezeichnungsmöglichkeit von Geraden. Eine Gerade g, die durch zwei verschiedene Punkte A und B eindeutig bestimmt ist wird auch mit AB bezeichnet. AXIOM I/2
Für die weitere Formulierung von Axiomen ist es sinnvoll, den Begriff kollinear zu definieren. Definition I/2: (kollinear)
AXIOM I/3
Folgerungen aus den Axiomen der ebenen InzidenzgeometrieViel wurde noch nicht axiomatisch gefordert. Dementsprechend werden wir auch noch nicht viele interessante Aussagen aus den Axiomen ableiten können. Wegen der geringen Anzahl von Axiomen ist es jedoch recht einfach, die Idee des axiomatischen Arbeitens zu verdeutlichen. Folgende Sätze lassen sich aus den Axiomen I/0 bis I/3 ableiten. Satz I.1
Beweis von Satz I.1
Die Aussage des Satzes I.1 ist eine Implikation, d.h. sie hat die folgende Form:Wenn Aussage A so Aussage B. Denselben Wahrheitswert wie eine Implikation hat die sogenannte Kontraposition der Implikation: Wenn nicht Aussage B so nicht Aussage A. Satz I.2: (Kontraposition von Satz I.1)
Da eine Implikation und ihre Kontraposition im Wahrheitsgehalt übereinstimmen und Satz I.2 die Kontraposition von Satz I.1 ist, bräuchten wir nach dem Beweis von Satz I.1 den Satz I.2 nicht mehr zu beweisen. Zur Übung und auch aus dem Grund, dass man Satz I.2 direkt beweisen kann, soll Satz I.2 noch einmal bewiesen werden. Beweis von Satz I.2
Satz I.3: (Existenz von drei Geraden)
Beweis von Satz I.3versuchen Sie es selbst ... .
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