Mittelpunkt einer Strecke und Axiom vom Lineal SoSe 12

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Inhaltsverzeichnis

Der Mittelpunkt einer Strecke

Wir wissen nun, dass eine offene Strecke \overline{AB} die Menge aller Punkte ist, die zwischen \ A und \ B liegen. Vereinigt man diese Menge mit der Menge der beiden Endpunkte \ A und \ B, so hat man die gesamte Strecke \overline{AB}. Zu unseren grundlegenden Vorstellungen von Strecken gehört, dass jede Strecke \overline{AB} einen Mittelpunkt \ M hat. \ M wäre der Punkt auf \overline{AB}, der sowohl zu \ A als auch zu \ B denselben Abstand \frac{| \overline{AB} |}{2} hat.

Definition III.1: (Mittelpunkt einer Strecke)
Wenn ein Punkt \ M der Strecke \overline{AB}
zu den beiden Endpunkten A und B jeweils und denselben Abstand hat, so heißt M Mittelpunkt der Strecke \overline{AB}
Satz III.1: (Existenz und Eindeutigkeit des Mittelpunkte einer Strecke)
Jede Strecke hat genau einen Mittelpunkt.
Beweis der Existenz und Eindeutigkeit des Mittelpunktes einer Strecke
Die Materie erscheint einsichtig und einfach. Übungsaufgabe?? Nichts ist einfach. Mit den bisher bereitgestellten axiomatischen Grundlagen unserer Geometrie wird es Ihnen nicht gelingen, etwa zu zeigen, dass jede Strecke einen Mittelpunkt besitzt.

Der Knackpunkt bezüglich des Nachweises der Existenz und Eindeutigkeit des Streckenmittelpunktes besteht darin, dass unsere derzeitige Theorie noch nicht genügend Punkte zu Verfügung stellt. Momentan muss unser Raum nicht mehr als 4 Punkte enthalten. Nach Axiom I.7 sind diese vier Punkte nicht komplanar, woraus folgt, dass je drei von ihnen nicht auf ein und derselben Geraden liegen. Damit könnte eine durch zwei verschiedene dieser vier Punkte eindeutig bestimmte Strecke gar keinen Mittelpunkt haben, denn dieser müsste entsprechend Definition III.1 bezüglich unserer zwei Endpunkte auf derselben Geraden liegen.

Es wird Zeit, die Anzahl Punkte unserer Theorie radikal zu erhöhen. Konzentrieren wir uns diesbezüglich zunächst auf einen Strahl \ AB^{+}. Nach unserer Vorstellung von Halbgeraden können wir je zwei Punkten von \ AB^{+} genau eine nichtnegative reelle Zahl (den Abstand der beiden Punkte) zuordnen. Nach unseren Vorstellungen etwa von Zahlenstrahl gibt es auch zu jeder nicht negativen reellen Zahl d genau einen Punkt \ D auf \ AB^{+}, der zu \ A gerade den Abstand \ d hat. Bei Konstruktionsaufgaben finden wir diese Idee im Zusammenhang mit dem Streckenantragen wieder.

Streckenantragen

S 01.jpg S 02.jpg
S 03.jpg S 04.jpg

Das Axiom vom Lineal

Wir sind überzeugt davon, dass unsere Konstruktion entsprechend des vorangegangenen Abschnitts immer funktioniert und der so gewonnene zweite Endpunkt unserer konstruierten Strecke eindeutig bestimmt ist. Die Idee des Streckenantragens müssen wir jetzt jedoch axiomatisch fordern bzw. begründen.

Axiom III.1: (Axiom vom Lineal)
Zu jeder nicht negativen reelen Zahl \ d gibt es auf jedem Strahl \ p genau einen Punkt, der zum Anfangspunkt von \ p den Abstand \ d hat.

Zum Sprachgebrauch. Wir werden in kommenden Beweisen einzelne Beweisschritte häufig mit dem Axiom vom Lineal begründen müssen. Wir werden in einem solchen Fall ggf. auch mit der Existenz und Eindeutigkeit des Streckenantragens begründen. Letzteres ist schließlich nichts anderes als der Inhalt des Axioms vom Lineal.

Existenz und Eindeutigkeit des Mittelpunktes einer Strecke

Nachdem das Axiom vom Lineal formuliert wurde, wird es uns gelingen Satz III.1 zu beweisen.

Jetzt wirklich: Beweis von Satz III.1

noch einmal der Satz:

Jede Strecke hat einen und nur einen Mittelpunkt.

Es sind also zwei Beweise zu führen:

  1. Existenzbeweis: Jede Strecke hat einen Mittelpunkt.
  2. Eindeutigkeitsbeweis: Jede Strecke hat nicht mehr als einen Mittelpunkt.
    (Highlanderbeweis: Es kann nur einen geben.)
Der Existenzbeweis
Es sei \overline{AB} eine Strecke
Behauptung:
Es gibt einen Punkt auf der Strecke \overline{AB} der zu den Endpunkten \ A und \ B jeweils ein und denselben Abstand hat.
Die Behauptung noch mal: \exists M   \in  \overline{AB} : \ \left| AM \right| = \left| MB \right| .

Der Beweis:


Jede Strecke \overline{AB} hat einen Mittelpunkt.
Beweisschritt Begründung
(I) \exists d \in \mathbb{R}^{+} \ : \ d = \left| AB \right| Axiom vom Lineal
(II) \exists d^{*} \in \mathbb{R}^{+} \ : \ d^{*} = \frac{d}{2} (I), Axiom vom Lineal
(III) \exists M \in AB^{+} \ : \ \left| AM \right| = d^{*} (II), Axiom vom Lineal
(IV) \operatorname{Zw} \left( A, M, B \right) und damit M \in \overline{AB} (I)-(III)
(V) \ \left| AM \right| + \left| MB \right| = \frac{\left| AB \right|}{2} + \left| MB \right| = \left| AB \right| Def. Zw., (I)-(IV)
(VI) \left| MB \right| = \frac{\left| AB \right|}{2} (V), Rechnen in R
(VII) \left| AM \right| = \left| MB \right| (I)-(III), (VI)
(VIII) \ M ist der Mittelpunkt von \overline{AB} (VII), Def. Mittelpunkt einer Strecke
--Tchu Tcha Tcha 13:09, 1. Jun. 2012 (CEST)


Anmerkungen von Buchner zu den Begründungen von Tchu Tcha Tcha

Vielen Dank für Ihre Ergänzungen. Gehen wir mal die Schritte nacheinander durch:

Schritt eins und zwei haben nichts mit dem Axiom vom Lineal zu tun. In Schritt zwei wird nur eine Zahl halbiert, hier reicht als Begründung "Rechnen in R". Welches Axiom und welche Definition wird in Schritt eins herangezogen?
Schritt drei haben Sie absolut richtig begründet.
In Schritt vier ist die Begründung nicht ganz ausreichend. Ziehen Sie zusätzlich ÜA 5.3 als Begründung heran. Können Sie nachvollziehen, warum hier ÜA 5.3 perfekt passt?
Die Begründungen für Schritt fünf, sechs und sieben sind absolut richtig.
Bei Schritt acht fehlt streng genommen noch Schritt 4 in der Begründung- dort steht, dass M zu \overline{AB} gehört.

--Buchner 11:56, 6. Jun. 2012 (CEST)

Denke bei Schritt eins ist das Abstandsaxiom II.1 gesucht. In Schritt vier muss \operatorname(Zw) (M, A, B) und\operatorname(Zw) (A, B, M) ausgeschlossen werden. Daher ÜA 5.3, oder?!? Dürfte ich mich in der Klausur ebenfalls auf diese Aufgabe berufen oder müsste ich es noch einmal zeigen?? :-)
--Tchu Tcha Tcha 00:32, 15. Jun. 2012 (CEST)

Der Eindeutigkeitsbeweis

Übungsaufgabe

Hinweis: Nehmen Sie an, eine Strecke \overline{AB} hätte zwei Mittelpunkte \ M und \ N .