GeometrieUndUnterrichtSS2019 01

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Inhaltsverzeichnis

Vorbereitungsauftrag

Der Begriff Grundvorstellung steht für ein tragfähiges mentales Modell für einen Begriff oder ein Verfahren. Lesen Sie vom Hofe (2013). „Grundvorstellungen mathematischer Inhalte als didaktisches Modell“ in Journal für Mathematik-Didaktik und eigenständig recherchierte Beiträge zum Thema Grundvorstellungen (mit Bezug zum Geometrieunterricht). Bearbeiten Sie die folgenden Aufträge.

  1. Diskutieren Sie, wie sich Flächeninhalte von Rechtecken als (innermathematischen) Sachzusammenhang für die Multiplikation zweier positiver (rationaler) Zahlen für den Aufbau einer Grundvorstellung eignen. Berücksichtigen Sie dabei die Aspekte Sinnkonstituierung, Aufbau von Repräsentationen und Anwendung des Begriffs. (Die folgenden zwei Aufgaben können dabei helfen.)
  2. Wie können Sie diese Vorstellung zur Erklärung des Distributivgesetz beim Rechnen mit positiven (rationalen) Zahlen verwenden?
  3. Wie können Sie diese Vorstellung zur Erklärung der ersten binomischen Formel beim Rechnen mit positiven (rationalen) Zahlen verwenden?
  4. Welche Begriffe, Konzepte oder Phänomene der Geometrie werden in diesem Zusammenhang angesprochen?
  5. Entwickeln Sie einen analolgen Sachzusammenhang für den Aufbau einer Grundvorstellung für die Multiplikation zweier natürlicher Zahlen.

Sitzungsmaterialien

Dokumentation der Sitzung

Zusammenfassung

In dieser Sitzung haben wir uns mit dem Konzept des Begriffslernen beschäfigt. Es wurden Ziele und Möglichkeiten des Begriffslernens erarbeitet und diskutiert. Ausgehend von dem Artikel vom Hofe (2013) „Grundvorstellungen mathematischer Inhalte als didaktisches Modell“ wurden verschiedene Grundvorstellungen besprochen und Phasen des Begriffslernens diskutiert. Weiterhin wurde eine Sammlung geometrischer Begriffe erstellt und diskutiert, die als Gegenstand des Nachbereitungsauftrags dient.

Inhaltlicher Input (1), Begriffslernen

In der ersten inhaltlichen Phase standen Ziele und Legitimierung des Begriffslernens im Vordergrund. Ausgangspunkt hierfür war der Text vom Hofe (2013) „Grundvorstellungen mathematischer Inhalte als didaktisches Modell“, in dem der Autor das Konzept der Grundvorstellungen sowohl als normatives didaktisches Modell als auch als diagnostische Heuristik für Strategien oder Fehlvorstellungen von Schülerinnen und Schülern diskutiert. In der Seminarsitzung wurde nur auf die normative Komponente des Grundvorstellungskonzepts eingegangen. Als erstes Diskussionsthema diente das folgende Zitat aus eben jenem Text:

"Wichtigster Kritikpunkt, weit häufiger genannt als Klagen über Angsterlebnisse der zeitliche Belastung, war der Vorwurf der Sinnlosigkeit."

Mögliche Gründe für diese Sinnlosigkeit, welche die Seminarteilnehmer äußerten, waren der fehlender Realitätsbezug von Mathematik und von mathematischen Begriffen, mangelnde Authentizität in Begriffen, Aufgaben und Legitimierung im Mathematikunterricht und die fehlende Perspektive, in welchen Lebenssituationen Mathematik und damit verbundene Grundvorstellungen und Grundbegrifflichkeiten von Bedeutung sein können. Weiterhin wurde angeführt, dass das Lernen formaler Regeln ohne eine Einbettung in einen praktischen Kontext, wenig Sinn macht. Das Fach Mathematik treffe hier, in der Form in der es gelehrt wird, auf eine unter Schülern fehlende Wertschätzung für die Eleganz der Mathematik und den formalen Methoden. Angefügt wurde hierzu, dass formale Regeln, wie beispielsweise die binomischen Formeln, aus guten Gründen nicht hergeleitet werden[1], aber die Präsentation von festen Regeln "die halt so sind" die Schüler unbefriedigt lassen. Aus diesen festgesetzten Regeln könnte es auch zu Frust bei Schülerinnen und Schülern kommen, wenn ihre Vorstellung und Intuition diesen mathematischen Gesetzmäßigkeiten widersprechen, besonders, wenn keine Begründung oder Erklärung für diese Diskrepanz gegeben wird. Ein mangeldes Verständnis oder falsche Vorstellung führen dann eben auch zu unreflektierter Anwendung von Pseudoregeln, welche die Schüler aus ihrer Intuition ableiten.

Davon ausgehend wurden verschiedene Grundvorstellungen disktutiert. Insbesondere wurden verschiedene Grundvorstellungen und Zugänge zur Addition mit natürlichen Zahlen vorgeschlagen:

  • Natürliche Zahlen als Kardinalzahlen: Summenbildung als Vereinigung von Mengen, Summanden und Summe als Kardinalitäten dieser Mengen.
  • Addition natürlicher Zahlen als Operator: Schritte die man gehen kann, Summand 1 als Startpunkt, Summand 2 als Zahl der Schritte, Summe als Zielpunkt
  • Natürliche Zahlen als Ordinalzahlen (Zählzahlen): Summenbildung als „Weiterzählen“.

Weiterhin diskutierten die Seminarteilnehmer die Vorteile der Grundvorstellung der Multiplikation als Flächeninhalte von Rechtecken (Multiplikation rationaler/reller Zahlen). Die geometrische Konzepte die bei dieser Vorstellung oder Analogie, sind dabei das Messen, Argumentieren, Seiten und Seitenlängen, Flächeninhalte und die Zerlegungsgleichheit. Ähnliche Argumente erlauben eine visuelle Darstellung der binomischen Formeln. Vorgeschlagen wurde ebenso ein methodischer Zugang zur Verdeutlichung der Analogie zwischen Flächeninhalten von Rechtecken und Multiplikation. Beispielsweise könnten Schüler Rechtecke mit kleineren quadratischen Einheiten auslegen. Diese Einheiten lassen sich in einem ersten Schritt elementar zählen (Multiplikation natürlicher Zahlen). Eine abstraktere Herangehensweise wäre die Multiplikation von Reihen und Spaltenzahl, welche einen intuitiven Zwischenschritt zur Multiplikation im reelen darstellt, welche auch im Sinne eines Spiralcurriculums zum tragen kommen könnte. Ein weiterer Vorteil der Rechtecks-Analogie ist, dass sich Rechengesetze wie Kommutativität und Distributivität visualiseren lassen. Diese Grundvorstellungen stellen einen wesentlichen Teil zum Verständnis von mathematischen Sachverhalten und Gesetzmäßigkeiten dar und erlauben es abstrakte und formale Mathematik anschaulich anzugehen.

Arbeitsphase (1), Sammeln geometrischer Begriffe

In einer ersten Arbeitsphase ging es darum, bekannte geometrische Begriffe aufzulisten. Die entstandene Sammlung ist unter dem folgenden Link zu finden:

https://zumpad.zum.de/p/GuU_Begriff

Inhaltlicher Input (2), Ziele des Begriffslernens

Als wichtigstes Ziel des Begriffslernens gilt das Aufbauen von mentalen Modellen. Dazu gehören:

  • Angemessene (Grund-)Vorstellungen: wahrnehmungsbezogene Vorstellungen, handlungsbezogene Vorstellungen, verbalisierungsbezogene Vorstellungen (sprachlich, gedanklich, Kopfgeometrie)
  • Kenntnisse über Eigenschaften und Beziehungen: Begriffsinhalt, Beziehungen von Eigenschaften, Beziehungen zu anderen Begriffen (Begriffsnetz)
  • Aneignung von verwandten Fähigkeiten: Rechnen, Argumentieren, Problemlösen, Konstruieren

Dabei ist zu beachten, dass diese mentalen Modelle sich von Individuum zu Individuum unterscheiden können. Der Aufbau der Vorstellungen kann dabei durch Wahrnehmung von Gegenständen und Phänomenen, Handlungen an Gegenständen und durch Verbalisierung von Objekten und Phänomenen geschehen. Unter Verbalisierung wird damit auch das rein sprachliche oder gedankliche Operieren mit geometrischen Objekten verstandan: ein Beispiel ist das Zerlegen von Figuren im Kopf - beispielsweise eines Parallelogramms in Dreiecke. Handlungsbezogene Zugänge zu mathematischen Konzepten haben Seminarteilnehmer beispielsweise durch das Messen des Umfangs und des Radius eines Kreises mithilfe eines Fadens in ihrer eigenen Schulzeit erlebt. Ein solcher handlungsbezogener Ansatz ist analog zur Erschließung enaktiver Repräsentationen (EIS-Prinzip) zu verstehen.

Arbeitsphase (2), Schulbuchanalyse

In einer zweiten Arbeitsphase fanden sich die Teilnehmer in Kleingruppen zusammen. Ziel war es Schulbücher für die Sekundarstufe 1 daraufhin zu untersuchen, ob diese Lerngelegenheiten zu allen Aspekten des Aufbaus mentaler Modelle bieten. Die dabei untersuchten Schulbücher waren:

  • Einblicke Mathematik 3 (Klett, 2006, Baden-Württemberg)
  • Schnittpunkt Mathematik 3 (Klett, 2005, Bade-Württemberg)
  • matheWerkstatt 3 (Cornelsen, 2014, Baden-Württemberg)
  • XQuadrat Mathematik 7 (Cornelsen, 2016, Baden-Württemberg)

Die konkrete Aufgabe bestand darin, ein Geometriekapitel im jeweiligen Buch auszusuchen und unter dem Blickwinkel des Begriffslernens (Aufbau mentaler Modelle) zu betrachten. Dabei stellte sich heraus, dass jedes Buch Stärken und Schwächen in verschiedenen Bereichen aufweist. Es war vorallem ein unterschiedlicher Fokus auf verschiedene Aspekte des Begriffslernens zu erkennen. Besonders tat sich das Buch matheWerkstatt hervor, welches einen sehr handlungs- und wahrnehmungsbezogenen Ansatz verfolgt, aber auch gute Möglichkeiten zum Trainieren von Fähigkeiten und Vertiefen von Verständnis bietet. Ebenso interessant war der besondere Fokus auf Einsatz von digitalen Hilfsmitteln.

Größte Erkenntnis dieser Übung war, dass Lehrer nicht nur ein Buch besitzen sollten, sondern eine vielfalt von Büchern komplementär zueinander benutzen sollte. Auf diese Weise kann die Lehrkraft sicherstellen, dass den Schülerinnen und Schülern ausreichend Lernaktivitäten angeboten werden, um eine umfassende Begriffbildung zu ermöglichen.

Inhaltlicher Input (3)

In einer letzten inhaltlichen Phase, lernten die Seminarteilnehmer das van-Hiele-Modell des Begriffslernens kennen. In diesem werden verschiedene Stadien des Begriffslernens geschildert, welcher jede(r) Lernende (immer wieder) durchläuft,[2] wenn sie/er mit einem neuen Sachverhalt oder Thema, einem neuen Begriffsbildungsprozess, konfrontiert wird. Die Stadien sind:

  1. Visualisation: Räumlich-anschauungsgebundenes Denken (Intuitives Begriffsverständnis, Prototypen basiert, keine Eigenschaften oder Beziehungen, "Vorschulstufe")
  2. Analysis: Geometrisch-analysierendes Denken (Inhaltliches Begriffsverständnis, Eigenschaften, Klassifizierung/Defintion mit Begründung, keine Beziehungen, Grundschule)
  3. Abstraction: Geometrisch-abstrahierendes Denken (Integriertes Begriffsverständnis, Beziehungen zwischen Eigenschaften, Verständnis von Klassifizierung, informelle Argumente, Mittelstufe)
  4. Deduction: Geometrisch-schlussfolgerndes Denken (Integriertes Begriffsverständnis, formales Begriffsverständnis, formale Beweisführung Oberstufe)
  5. Rigor: Strenge, abstrakte Geometrie (Formales Begriffsverständnis, Meta-Ebene, formale Sprache, verschiedene Geometrien und Theorien, Akademia)

Dabei ist zu beachten, dass der chronologische Zusammenhang zu den verschiedenen Abschnitten der Bildungslaufbahn nicht zwingend bedeutet, dass diese Phasen in dieser Zeit durchlaufen werden. Sie gelten nur einem groben analogen Verständnis, in der sich eben diese Stadien oft wieder finden. Ebenso wird ein bereits ausgebildeter Mensch diese Stadien durchlaufen, wenn er neue Begriffe kennelernt, bevor er den Sachverhalt völlig durchdrungen und verstanden hat.

Kommentare des Dozenten

  • [1] Das wurde meiner Erinnerung nach nicht angeführt. Natürlich können und sollten Regeln im Speziellen (und Konzepte im Allgeimen) hergeleitet oder mindestens plausibel gemacht werden. Diese Herleitung kann u.a. auf Kalkülebene erfolgen (Bei bin. Formel etwa durch Rückgriff auf das Distributivgesetz) oder auf Ebene eines sinnstiftenden Sachzusammenhang (siehe Grundvorstellungen, Vorbereitungsauftrag).
  • [2] Ausgangspunkt für das van-Hiele-Modell war das Figurenlernen im Geometrieunterricht. Bezogen auf die Sequenzierung des Figurenlernens im typischen Geometrieunterricht, kann (in erster Näherung) tatsächlich davon ausgegangen werden, dass diese Stadien einmal durchlaufen werden. Die Diskussion darüber, ob sich Lernende bezügich verschiedener Begriffe in verschiedenen Stadien der Begriffsbildung befinden können, ist daher bereits Bestandteil einer kritischen Betrachtung des Modells.

Nachbereitungsauftrag

Andreas Vohns stellt in seiner Vorlesung „Didaktik der Geometrie“ an der Universität Klagenfurt verschiedene Klassifikationssysteme für (geometrische) Begriffe im Mathematikunterricht vor. Schauen Sie sich den Vorlesungsmitschnitt der dritten Sitzung aus dem WiSe 2018/19 (Ausschnitt von Minute 5.00 bis 11.00) an. Suchen Sie sich eines der Klassifikationssysteme aus und sortieren Sie die in der Sitzung gesammelten Begriffe in dieses System ein.

Ergebnisse der Nachbereitung

Tragen Sie die Ergebnisse Ihrer Nachbereitung in die folgende Tabelle ein.

Inhaltliche Einteilung:

Figurenbegriffe Dreieck, Quadrat, Kreis, Prisma, Würfel, Kugel, Körper allg., Eigenschaften und Beziehung untereinander (gleichschenklig, gleichseitig, parallel, senkrecht, rechtwinklig, kongruent, achsensymmetrisch)
Abbildungsbegriffe Geraden, Spiegelung, Drehung, Kongruenzabbildung, zentrische Streckung, Verschiebung
Maßbegriffe Länge, Winkelgröße, Flächeninhalt, Volumen, Gewicht, Umfang


Logische Einteilung

Objektbegriffe Dreieck, Viereck, Vieleck, Kreis, Ellipse, Zylinder, Würfel, Kegel, Quarder, Prisma, Parallelogramm, Ebene, Gerade
Eigenschaftsbegriffe dreieckig, viereckig, rund, elliptisch, zylindrisch, würfelförmig, kegelförmig, quadratisch, eben, gerade, Punkt, Seite, Strecke, Kreisbogen (?), Diagonale (?)
Relationsbegriffe parallel, symmetrisch, orthogonal, kongruent, windschief, identisch, ähnlich, deckungsgleich
Funktionsbegriffe Abbildungen, Länge, Winkelgröße, Flächeninhalt, Volumen, Gewicht, Umfang, Streckensymmetrale


Axiomatische Einteilung

Grundbegriffe Punkte, Geraden
definierte Begriffe alle anderen Begriffe


Einteilung nach Bedeutung

Leitbegriffe Sinus, Kosinus, Tangens, Flächeninhalt, Volumen, Vektoren, Bewegung, Spiegelung, Symmetrie, Drehung, Verschiebung/Transĺation, Identität, Parallelität, Orthogonalität
Schlüsselbegriffe Strahlensätze, Winkelsumme, Satz des Thales, Satz des Pythagoras, binomische Formeln, Winkel, Winkelgröße, Ebene, Raum
zentrale Begriffe Winkelhalbierende, Mittelsenkrechte, Seitenhalbierende, Diagonale, Haus der Vierecke, Einheitskreis, Stufenwinkel, Wechselwinkel, Scheitelwinkel, Nebenwinkel, Körpernetz, Vieleck, Quadrat, Körper, Quader, Kegel, Zylinder, Höhensatz, Winkelsummensatz, Ellipse, Kegelschnitte, kongruent, deckungsgleich, windschief, identisch, orthogonal, goldener Schnitt, ähnlich, Kongruenz
Arbeitsbegriffe Länge, Breite, Mittelpunkt, Innenkreis, Außenkreis, Ankathete, Gegenkathete, Hypotenuse, Durchmesser, Radius, Punkt, Strecke, Gerade, Strahl, Kreisbogen, spitzer Winkel, stumpfer Winkel, überspitzer Winkel, rechter Winkel, gleichseitig, gleichschenklig, rechtwinklig, Kreis, Umfang

Zusatzmaterial

Hier finden Sie einen Mitschnitt der Vortrags „Moving mathematics - Technology that changes teaching and learning“ von Dr. Nathalie Sinclair zu ihrer Arbeit mit jungen Lernenden im Kindergarten- und Vorschulalter. Der Vortrag wurde auf der 51. Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik in Potsdam gehalten.

Ab der Zeitmarke 22 Minuten 55 Sekunden werden Beispiele zur Erarbeitung von Begriffsaspekten (Dreiecken, Lage von Geraden, Spiegelungen und Symmetrien) erörtert. Sie können diese Beispiele als Lerngelegenheit für das van-Hiele-Modells nutzbar machen, indem Sie diese vor dem Hintergrund der Stufen des Begriffserwerbs reflektieren.

Literaturhinweise